Mikrobiom und Onkologie: Einerseits proliferativ, andererseits protektiv

Prof. Dr. med. Sebastian Zeißig

Mikrobielle Komponenten können die Karzinogenese nicht nur im Kolon, sondern auch in der Leber und im Pankreas vorantreiben. Die Mechanismen sind am besten für das Kolonkarzinom erforscht: Zentral sind erstens eine veränderte Zusammensetzung des Mikrobioms, etwa die Anreicherung von Fusobakterien, sowie zweitens eine intestinale Barrierestörung. Unter diesen Bedingungen infiltrieren kommensale Bakterien ins Gewebe und bilden bakterielle Biofilme, in deren Umfeld entzündliche Zytokine freigesetzt und Faktoren aktiviert werden, die proliferative Prozesse im Darm ankurbeln.1

Analoge Prozesse laufen bei der hepatozellulären Karzinogenese ab. Es ist bekannt, dass Lebererkrankungen mit einer intestinalen Barrrierestörung einhergehen. In der Folge gelangen mikrobielle Endotoxine wie Lipopolysaccharid (LPS) über das portalvenöse Blut zur Leber, wo sie ebenfalls Inflammation und Proliferation triggern.2

 

Ferngesteuerte Regulation

Erstaunlich ist: Auch im weiter vom Darm entfernten Pankreas gibt es Assoziationen zwischen Mikrobiota und Karzinogenese. Sowohl bei Gesunden als auch bei Tumorpatienten wurde im Pankreas eine Mikrobiota nachgewiesen, die aus dem Darm stammt.3 Eventuell reguliert sie das Tumorwachstum über Ferneffekte.

Offenbar beeinflusst diese Mikrobiota das Ansprechen auf das Chemotherapeutikum Gemcitabin. Normalerweise inhibiert es das Wachstum von Pankreaskarzinomzellen. Die Zugabe von Fibroblasten hob diesen Effekt jedoch auf. Es stellte sich heraus, dass die Zellkulturen mit Mycoplasmen kontaminiert waren, die ein Enzym zur Degradation von Gemcitabin besitzen. Denselben Effekt hat die Mikrobiota aus Pankreaskarzinomen, wie ein Versuch mit Zellkulturen zeigt: In ihrer Gegenwart verliert Gemcitabin seine Wirkung; die Tumorzellen beginnen wieder zu wachsen.4

 

Welche Bakterien sind protektiv?

Auch weitere Daten zeigen, dass die Mikrobiota das Ansprechen von Tumoren auf systemische Therapien reguliert. Ein Checkpoint-Inhibitor erwies sich bei Tumormäusen mit Sarkomzellen nur in Anwesenheit von Mikrobiota als effektiv; bei keimfreien Mäusen und unter Antibiotikatherapie war er wirkungslos.5 Analog bei Tumorpatienten unter einer Checkpoint-Inhibitortherapie: Patienten mit Antibiotikabehandlung hatten deutlich schlechtere Überlebensraten als Patienten ohne Antibiotikagabe .6

Die Ansprechbarkeit auf eine Checkpoint-Inhibitortherapie ist sogar mit dem Stuhl übertragbar: Tumormäuse, die Stuhl von menschlichen Respondern erhalten hatten, reagierten besser auf die Therapie als Tiere, die Stuhl von Nonrespondern bekommen hatten. Welche Bakterien für den therapeutischen Effekt verantwortlich sind, ist derzeit allerdings unklar.6,7 Um die relevanten Bakterien zu identifizieren, wurde humaner Stuhl auf Mäuse übertragen und analysiert, welche Mikrobiota die meisten zytotoxischen T-Zellen induziert. Die Anwendung der entsprechenden Spezies im Tiermodell löste einen massiven Effekt aus, spontan und in Kombination mit Checkpoint-Inhibitoren.8

 

Fazit für die Praxis

Mikrobielle Komponenten regulieren die Effektivität systemischer Tumortherapien. Es gibt bislang keine robusten Assoziationen zwischen einzelnen Spezies und protektiven Effekten, aber spannende klinisch relevante Ansätze im Tiermodell, die in Humanstudien überprüft werden müssen.

 

Literatur:

1 Peuker K et al. Nat Med. 2016; 22(5):506–515.

2 Zhang AL et al. J Hepatol. 2012; 57(4):803-12.

3 Pushalkar S et al. Cancer Discov. 2018; 8(4):403-416.

4 Geller LT et al. Science. 2017; 357(6356):1156-1160.

5 Vétizou M et al. Science. 2015; 350(6264):1079-84.

6 Routy B et al. Science. 2018; 359(6371):91-97.

7 Gopalakrishnan V et al. Science. 2018; 359(6371):97-103.

8 Tanoue T et al. Nature. 2019; 545(7741): 600-605.  

Bild-Quelle: Zeißig, privat

Aus: Newsletter 2/2020, Hamburger Expertenkreis Mikrobiom (Initiative der FERRING Arzneimittel GmbH)